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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Warum sind Frauen fasziniert von wahren Geschichten über Vergewaltiger und Mörder?

von Dr. Jana Nikitin


Während der Scheidung von ihrem Mann hat Sheila Bellush ihre Schwester gebeten, ihre Geschichte publik zu machen, sollte ihr etwas zustossen. Kurz darauf wurde die Mutter von vier Kindern von einem Berufskiller – angeheuert von ihrem Mann – erschossen. Ihre Geschichte wurde in dem Buch Every Breath You Take veröffentlicht und von über einer Million Leser gekauft. Wer liest solche Bücher? Deutlich mehr Frauen als Männer, haben kürzlich Forscher der Universität Illinois gefunden.

Die Forscher durchstöberten die Webseiten von Amazon.com nach Kommentaren, die Leser zu Büchern machen. Wahre Greuelgeschichten wurden von deutlich mehr Frauen (70%) als Männern (30%) kommentiert. In einem weiteren Schritt haben die Forscher mehrere hundert Frauen und Männer befragt, welches Buch sie eher kaufen würden: eine wahre Mördergeschichte oder eine wahre Kriegsgeschichte? 77% der Frauen entschieden sich für die Mördergeschichte, während Männer gleichermassen an beiden Geschichten interessiert waren.

Warum sind Frauen von wahren Greueltaten mehr fasziniert als Männer? Frauen haben mehr Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Diese Angst könne dazu führen, dass Frauen in wahren Geschichten über Serienkiller und Vergewaltiger Informationen suchen, wie sie einem Verbrecher entkommen könnten, vermuteten die Forscher.

Diese Vermutung hat sich bestätigt. In Befragungen entschieden sich Frauen häufiger für ein Buch, das einen Trick zum Entkommen beschrieb, als für das gleiche Buch, wo dieser Trick nicht erwähnt wurde (71% gegen 29%), häufiger für ein Buch, das das psychologische Profil eines Mörders beschrieb, als ein Buch ohne ein solches Profil (65% zu 35%) und häufiger für ein Buch mit weiblichen als für ein Buch mit männlichen Opfern (59% zu 41%). Bei den befragten Männern gab es entweder keine oder nur geringe Unterschiede in der Wahl der Bücher.

Tricks zum Entkommen kennen; den Täter an seinem Profil frühzeitig erkennen; wissen, wie sich andere Frauen gewehrt haben: Frauen lesen wahre Mördergeschichten nicht, weil sie blutrünstiger sind als Männer, sondern weil sie vermutlich Informationen suchen, die ihnen helfen würden, in einer gefährlichen Situation richtig zu handeln. Paradoxerweise kann das Lesen von solchen Geschichten vermutlich die Angst vor Gewaltverbrechen erhöhen. Männer haben nämlich statistisch ein viel höheres Risiko, tatsächlich Opfer eines Verbrechens zu werden. Die Lektüre sollte demzufolge immer mit Vorsicht genossen werden.



Quelle: Vicary, A. M. & Fraley, R. C. (2010). Captured by true crime: Why are women drawn to tales of rape, murder, and serial killers? Social Psychological and Personality Science, 1, 81–86.



Bitte beachten Sie, dass diese Studie nicht in unserem Labor durchgeführt wurde. Wenn Sie an einer Studie in unserem Labor teilnehmen möchten, finden Sie dazu hier weitere Informationen.

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