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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Gestresste Führungskräfte – mehr als ein Mythos?

von Laura Almeling

 

Von einem Meeting zum nächsten, eine beträchtliche Anzahl von Personen, die einem unterstellt sind und ein hohes Mass an Verantwortung - Personen in Führungspositionen haben hohe Anforderungen zu meistern. Ihr Leben kann man durchaus als „stressig“ bezeichnen. Dementsprechend ist die Annahme, dass Führungskräfte gestresster sind als andere, eine weitverbreitete. Doch inwieweit schlägt sich das „stressreiche Leben“ von Führungskräften auf ihr psychisches und körperliches Stresslevel nieder?

Dieser Frage gingen Gary Sherman von der Harvard Kennedy School und seine KollegInnen in einer Studie mit insgesamt mehr als 200 männlichen und weiblichen Personen nach. In dieser Studie wurden Regierungsbeamte und Militäroffiziere (Führungskräfte) mit Personen ohne Führungsposition (Kontrollgruppe) verglichen. Die beiden Gruppen ähnelten sich hinsichtlich des Ausbildungsniveaus und des Einkommens. Zum einen wurde mittels Fragebögen erfasst wie ängstlich und besorgt sich die Personen fühlten. Zum anderen wurde anhand von Speichelproben der Pegel des Stresshormones Kortisol, das bei Belastung ausgeschüttet wird, bestimmt. Der Vergleich der beiden Gruppen ergab, dass sich die Führungskräfte weniger ängstlich bzw. besorgt fühlten, und auch einen geringeren Kortisolpegel als die Kontrollgruppe hatten. Die Führungskräfte waren sozusagen weniger gestresst als die Personen in der Kontrollgruppe.

Dies zunächst überraschend erscheinende Ergebnis wurde in einer Folgestudie näher untersucht. Ein wichtiger Unterschied von Führungskräften im Vergleich zu anderen Personen ist, dass Führungskräfte relativ viel Macht haben. Macht wiederum geht mit einem hohen Gefühl von Kontrolle einher. Dadurch, so mutmassten die Forschenden, könnten die potentiell negativen Effekte, die mit einem „stressigen Leben“ einhergehen, aufgefangen bzw. ins Gegenteil verkehrt werden. In dieser Folgestudie konzentrierten sich die Forschenden nun auf die Gruppe der Führungskräfte. Sie erfassten mittels Fragebögen deren Ausmass an Macht (z.B. Anzahl der Untergebenen) und deren persönliches Gefühl von Kontrolle (z.B. ob jemand meint sich leicht Gehör verschaffen zu können). Die Forschenden konnten zeigen, dass die Führungskräfte, die am meisten Macht hatten, sich am wenigsten besorgt und ängstlich fühlten und die niedrigsten Kortisolpegel hatten. Dieser Effekt wurde herbeigeführt durch das Gefühl von Kontrolle: Dies war bei den der Führungskräften, die am meisten Macht hatten am stärksten ausgeprägt. Nicht die Macht allein, aber das damit einhergehende ausgeprägte Gefühl von Kontrolle wirkt sozusagen als Puffer gegen Stress.

Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu der weitverbreiteten Annahme, dass Personen in Führungspositionen „gestresster“ wären als andere. Im Gegenteil, die Studie belegt, dass Führungskräfte sowohl psychologisch als auch physiologisch weniger „gestresst“ sind als andere. Dies scheint daran zu liegen, dass mit Macht das Gefühl von Kontrolle einhergeht, welches vor Stressbelastung zu schützen scheint. Bemerkenswerterweise ist aber auch bekannt, dass bei der Verarbeitung des Stresses, der durch berufliche Anforderungen zustande kommt, viele Faktoren eine Rolle spielen. Dazu gehören zum Beispiel wieviel Unterstützung man hat und auch ob man sich aktiv mit Problemen auseinandersetzt. Das geringere Stresslevel der Führungskräfte, wie es hier beobachte wurde, könnte auch an sich der Grund dafür sein, dass diese Personen überhaupt erst in Führungspositionen gelangt sind. Möglicherweise sind weniger gestresste Menschen besonders geeignet für Führungspositionen und werden dementsprechend in solche befördert. Nichtsdestotrotz: Das Gefühl von Kontrolle scheint ein wichtiger Puffer gegen Stress zu sein.

 

Literaturangaben:

Sherman, G. D., Lee, J. J., Cuddy, A. J. C., Renshon, J., Oveis, C., Gross, J. J., & Lerner, J. S. (2012). Leadership is associated with lower levels of stress. Proceedings of the National Academy of Sciences, 109(44), 17903–17907. https://doi.org/10.1073/pnas.1207042109

 

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