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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen*: Mehr als eine Frage der politischen Orientierung?

von Lea Mörsdorf

 

In den letzten Jahren war eine enorme Zahl an Menschen auf der Flucht (mehr als 19 Mio. Flüchtlinge weltweit im Jahr 2017), was in vielen Ländern zu hitzigen Diskussionen darüber führte, in welchem Umfang und unter welchen Umständen Flüchtlinge aufgenommen werden. Viele Faktoren scheinen dazu beizutragen, ob ein Land Flüchtlinge aufnimmt oder nicht. Auch die Wahrnehmung kultureller Unterschiede und Vorstellungen darüber, wie mit diesen Unterschieden umgegangen werden sollte, können eine Rolle spielen. Bisher wurden dabei vor allem zwei Vorstellungen betrachtet: Einerseits inwiefern BewohnerInnen eines Landes überzeugt sind, dass ImmigrantInnen die Kultur des Aufnahmelandes annehmen sollten und andererseits inwiefern BewohnerInnen eines Landes davon ausgehen, dass ImmigrantInnen ihre Kultur annehmen wollen. Die Forschenden um Shilpa Madan argumentieren jedoch, dass eine entscheidende Frage bislang übersehen wurde: Glauben BewohnerInnen eines Landes, dass ImmigrantInnen ihre Kultur annehmen können? Neben der wahrgenommenen Verpflichtung sowie des Willens zur kulturellen Anpassung könnte die wahrgenommene Fähigkeit hierzu eine entscheidende Rolle spielen.

Die Autoren vermuteten entsprechend, dass Menschen eher bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie überzeugt sind, dass ImmigrantInnen sich kulturell anpassen können.

Aber woher kommt der Glaube, dass ImmigrantInnen sich (nicht) anpassen können?

Hier vermuteten die Autoren, dass allgemeinere Laientheorien** darüber, ob Personen sich in ihrer Art ändern können oder nicht, ausschlaggebend sind. Sind Menschen überzeugt, dass man sich selbst (also seine persönliche Art) ändern kann, sollten sie auch eher glauben, dass ImmigrantInnen sich anpassen können. Da Menschen positivere Einstellungen gegenüber ImmigrantInnen haben, die sich anpassen, sind sie vermutlich eher bereit, diese aufzunehmen und zu unterstützen.

Um ihre Vermutungen zu überprüfen, führten die Autoren sechs Online-Studien in den USA und Grossbritannien durch, bei denen die Teilnehmenden verschiedene Fragen beantworten mussten.

Es zeigte sich wiederholt, dass Menschen, die glauben, eine Person könne ihre Art verändern, eher angaben, bereit zu sein, Flüchtlinge in ihr Land aufzunehmen, unabhängig von ihrer politischen Orientierung (die natürlich auch einen grossen Einfluss auf die Aufnahmebereitschaft hatte). Im Unterschied dazu gab es keinen Zusammenhang zwischen dem Glauben, Intelligenz sei (nicht) veränderbar und der Aufnahmebereitschaft von Flüchtlingen. Dies zeigt, dass nur der Glaube an die Veränderbarkeit der Art einer Person ausschlaggebend ist, nicht ein Glaube an Veränderbarkeit in anderen Bereichen. Zudem überprüften die Autoren, ob der Glaube, eine Person könne ihre Art (nicht) verändern, dazu führte, dass Personen eher bereit waren Flüchtlinge aufzunehmen (ob also ein kausaler Einfluss vorliegt). Dies konnten sie ebenfalls bestätigen, indem sie den Teilnehmenden entweder die Information, eine Person könne ihre Art verändern oder die Information, eine Person könne ihre Art nicht verändern gaben und anschliessend nach der Aufnahmebereitschaft fragten. Darüber hinaus ergaben die Studien, dass der Zusammenhang zwischen dem Glauben an Veränderbarkeit der eigenen Art und der Aufnahmebereitschaft durch den Glauben an die Fähigkeit zur kulturellen Anpassung erklärt werden kann. Inwiefern Personen glaubten, ImmigrantInnen sollten sich anpassen, hatte nichts mit ihrem Glauben an Veränderbarkeit der persönlichen Art zu tun, aber mit ihrer politischen Orientierung. Zudem gaben Personen, die glaubten, ImmigrantInnen sollten sich anpassen, seltener an, bereit zu sein, Flüchtlinge in ihr Land aufzunehmen, auch unabhängig von ihrer politischen Orientierung.
 

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Glaube an die Veränderbarkeit der Art einer Person weitreichenden Einfluss haben kann. Ob sich dieser Glaube auch in tatsächlichem Verhalten (und nicht nur in hypothetischen Fragen einer Umfrage) niederschlägt, ist noch unklar.

 

*In diesem Text wird das Wort «Flüchtling» im Sinne von «Mensch mit Fluchthintergrund» verwendet (Vgl. PROASYL und Schweizerische Flüchtlingshilfe).

**Die Idee, dass Laientheorien über die Veränderbarkeit eines Menschen Verhalten beeinflussen können, hatten wir schon einmal im Artikel «Intelligenz bei Kindern» behandelt.

 

 

Literaturangaben:

Madan, S., Basu, S., Rattan, A., & Savani, K. (2019). Support for Resettling Refugees: The Role of Fixed Versus Growth Mind-Sets. Psychological Science. https://doi.org/10.1177/0956797618813561.

 

 

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