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Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Wie unsere Sicht aufs Älterwerden unser eigenes Altern beeinflusst

von Dr. Martin Tomasik


Wir alle sind mit unterschiedlichen Stereotypen konfrontiert, die sich meist auf Gruppen beziehen, zu denen wir nicht gehören. Diese Stereotype können positiv oder negativ sein und sie können uns bewusst sein oder auch nicht. Da können beispielsweise Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken, Professoren gelten als zerstreut und Jugendliche lesen nicht mehr, Familien mit vielen Kindern sind ungebildet und Raucher gelten als gesellig. Ob diese Stereotype der Wahrheit entsprechen oder nicht, sei dahingestellt, jedenfalls sind wir empfänglicher für sie als wir es vielleicht gerne hätten.

Für die meisten Stereotype gilt: Entweder sie betreffen uns nicht persönlich und haben daher kaum Einfluss auf unser Denken und Fühlen, oder wir sind selbst Mitglied einer stereotypisierten Gruppe und haben daher im Laufe der Zeit gelernt, mit den Vorurteilen und vielleicht auch Anfeindungen, die uns deswegen begegnen, umzugehen.

Ganz anders verhält es sich bei den Alterstereotypen, also Vorurteilen gegenüber dem Alter und dem Älterwerden. Hier ist es ja zunächst so, dass uns in jungen Jahren diese Stereotype nicht selbst betreffen, wir sie aber trotzdem in unserer kulturellen Umwelt bemerken, aufgreifen und schliesslich internalisieren. Alt sind die anderen und diese Anderen sind dann mal weise oder starrköpfig, mal agil und mal tatterig. Irgendwann aber werden wir selbst alt und irgendwann beziehen sich die Stereotype nicht mehr auf die Anderen sondern auf uns selbst.

Was dann passiert und wie sich dann Stereotype gegenüber dem Älterwerden auf das eigene Älterwerden auswirkt hat Becca Levy von der Yale University in New Haven, Connecticut, in einer Reihe von Studien und Experimenten untersucht.

In einer Studie beispielweise wurden jüngere Erwachsene zwischen 18 und 49 Jahren gefragt, was Altern für sie bedeutet, und dann wurde die Gesundheit dieser Erwachsenen über fast vier Jahrzehnte beobachtet. Das Ergebnis war, dass diejenigen, die in jungen Jahren eine negative Sicht auf das Älterwerden hegten später ein doppelt so hohes Risiko hatten, einen ernsthaften Herz-Kreislauf-Vorfall zu erleiden. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine weitere Studie mit über 50-jährigen Teilnehmern. Hatten diese eine positive Sicht auf das Älterwerden, so zeigten sie nicht nur eine bessere Gesundheit während der 20 Jahre dauernden Studie, sondern lebten auch im Durchschnitt siebeneinhalb Jahre länger als Teilnehmer mit einer negativen Sicht auf das Älterwerden. Eine weitere Untersuchungen konnte dabei zeigen, dass es nicht etwa die bessere Gesundheit ist, die zu einer positiven Sicht auf das Älterwerden führt, sondern vielmehr eine positive Sicht auf das Älterwerden vor Erkrankungen schützt.

Um zu verstehen, wie solche Einstellungen und letztlich Stereotype funktionieren, muss man wissen, dass diese häufig nicht bewusst sind. Levy zeigte das in einer Reihe von Experimenten, bei denen Versuchspersonen auf einem Computerbildschirm Worte aufblitzen sahen, die entweder positive (wie etwa erfahren) oder negative (wie etwa verwirrt) Alterstereotype ausdrückten. Jedes Wort wurde dabei nur etwa 50 Millisekunden präsentiert, so dass es bewusst nicht zu lesen war. Zum Vergleich dauert ein Lidschlag etwa sechs bis achtmal so lange. Das Ergebnis eines Experiments war dabei besonders erstaunlich: Die Handschrift der Versuchspersonen, welche die negativ besetzten Wörter „sahen“, wurde zittriger und sie gingen auch viel langsamer aus dem Labor heraus als Versuchspersonen aus der Gruppe mit den positiven Wörtern.

Wie aber können sich solche unbewussten Stereotype auf die Gesundheit oder gar auf die Langlebigkeit auswirken? Becca Levy nennt drei mögliche Wirkungsmechanismen: Zum einen wirken Stereotype über Erwartungen, die sich selbst erfüllen. Versuchspersonen, die erwarten, dass sie beispielsweise bei einer Gedächtnisaufgabe nicht so gut abschneiden werden, schneiden auch tatsächlich schlechter ab als Personen, die positive Erwartungen haben – bei objektiv gleichen Gedächtnisleistungen. Zweitens spielt das Gesundheitsverhalten eine zentrale Rolle. Personen mit einer negativen Sicht auf das Älterwerden betätigen sich weniger körperlich, nehmen unregelmässiger Medikamente ein, ernähren sich nicht so gesund und nehmen am sozialen Leben weniger aktiv teil. Das ist nachvollziehbar, denn wenn jemand überzeugt ist, dass Alter bloss Krankheit und Rückzug bedeutet, der wird nicht mehr viel in seine Gesundheit und sein soziales Leben investieren, was natürlich den körperlichen und sozialen Alterungsprozess beschleunigt. Drittens schliesslich hat sich gezeigt, dass das Herz-Kreislauf-System von Personen, die negative Altersstereotype hegen, heftiger auf Stress reagiert. Dies könnte zumindest zum Teil die höhere Anfälligkeit dieser Personen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erklären.

Becca Levys Studien legen nahe, dass wir nicht nur als Einzelne sondern auch als Gesellschaft unsere Sicht auf das Alter und das Älterwerden überdenken sollten. Es geht dabei nicht darum, ein rosiges Bild vom Alter zu zeichnen, sondern vielmehr darum, die negativen Vorurteile abzubauen, die nach wie vor sehr verbreitet sind. Dafür ist es nie zu spät und von ein wenig mehr Optimismus bezogen auf das Älterwerden könnten sowohl die heute Jüngeren wie auch die Älteren profitieren.


Quellen:
Levy, B. (2009). Stereotype embodiment: A psychosocial approach to aging. Current Directions in Psychological Science, 18, 332-336.

Wurm, S., Tesch-Römer, C., & Tomasik, M.J. (2007). Longitudinal findings on aging-related cognitions, control beliefs and health in later life. Journals of Gerontology Series B: Psychological Sciences and Social Sciences, 62, P156–P164.

Bitte beachten Sie, dass diese Studie nicht in unserem Labor durchgeführt wurde. Wenn Sie an einer Studie in unserem Labor teilnehmen möchten, finden Sie dazu hier weitere Informationen.

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