Navigation auf uzh.ch

Suche

Psychologisches Institut Entwicklungspsychologie: Erwachsenenalter

Gibt es den Heimvorteil wirklich?

von Dr. Simone Schoch


Im Rahmen von Sportveranstaltungen wird immer wieder vom Heimvorteil gesprochen. Wer im eigenen Stadion vor heimischem Publikum zum Wettkampf antreten kann, tritt die Partie mit mehr Zuversicht, vielleicht insbesondere wegen des starken Glaubens an den Heimvorteil, an. Doch was genau ist überhaupt der Heimvorteil? Gibt es ihn wirklich? Und falls ja, wie kommt er zu Stande?

Viele Endresultate aus dem Bereich des Mannschaftssports zeigen, dass die Heimmannschaft über 50% der Spiele in ihrem Heimstadion gewinnen. Es gibt ihn also tatsächlich, den Heimvorteil! Nach Courneya und Carron (1992) tragen vor allem die heimischen Fans zu diesem Phänomen bei: Je mehr heimische Fans im Stadion sind, desto grösser der Einfluss auf den Heimvorteil. Doch wie können die Zuschauer den Spielausgang beeinflussen? Die britischen Forscher Nevill, Balmer und Williams untersuchten eine Möglichkeit, wie der Heimvorteil zu Stande kommen kann. In ihrer Studie prüften sie, ob die Entscheidung qualifizierter Fussballschiedsrichter vom Lärm (Sprechgesänge, Buh-Rufe, allgemeine Reaktion des Publikums, usw.) der Fans beeinflusst wird. Sie nehmen an, dass der Lärm der Fans dazu führt, dass die Schiedsrichter weniger Fouls gegen die Heimmannschaft, dafür aber mehr Fouls für das Auswärtsteam pfeifen. Weiter glauben sie, dass erfahrenere Schiedsrichter weniger durch die Fans beeinflusst werden als Schiedsrichter mit wenig Erfahrung.

Um ihre Vermutungen zu überprüfen, luden die Forscher 40 qualifizierte Fussballschiedsrichter ein. Die Schiedsrichter wurden gebeten, 47 Spielszenen aus dem Spiel Liverpool (= Heimmannschaft) gegen Leicester City der English Premier League zu beurteilen und ihren Schiedsrichterentscheid abzugeben. Dazu wurden die Schiedsrichter zufällig einer von zwei Bedingungen zugeteilt. In der Lärm-Bedingung wurden die Szenen mit dem originalen «Zuschauerlärm» gezeigt. In der Ruhe-Bedingung wurden die Szenen ohne Lärm gezeigt. Vor der ersten Szene teilte der Versuchsleiter dem Schiedsrichter mit, welches die Heimmannschaft ist. Nach jeder Szene wurde der Film kurz gestoppt und der Schiedsrichter musste beurteilen, ob der Vorfall ein Foul war oder nicht. Zudem musste er angeben, ob es ein Foul des Heim- oder des Auswärtsteams war. Falls sich der Schiedsrichter nicht sicher war, ob die Szene überhaupt ein Vergehen war, musste er dies auch angeben.

Die Resultate zeigten, dass die Schiedsrichter in der Lärm-Bedingung unsicherer waren. Oft waren sie nicht sicher, wie sie die Szene beurteilen sollten. Zudem bewerteten sie im Vergleich zum Auswärtsteam eindeutig weniger Fouls auf Seiten der Heimmannschaft. Interessanterweise zeigten die Ergebnisse, dass im Vergleich zur Ruhe-Bedingung nicht mehr Fouls an die Auswärtsmannschaft vergeben wurden, sondern Fouls auf Seiten der Heimmannschaft «übersehen» wurden. Der Vergleich der Schiedsrichterentscheide in der Lärm-Bedingung mit den Entscheidungen des tatsächlichen Matchschiedsrichters zeigte, dass die Entscheide der Schiedsrichter in der Lärm-Bedingung weitgehend den Entscheidungen des Matchschiedsrichters entsprachen. Die Erfahrung der Schiedsrichter hatte ebenfalls einen starken Einfluss auf die Beurteilung der Spielszenen in der Lärm-Bedingung. Je mehr Berufserfahrung ein Schiedsrichter hatte, desto öfter pfiff er auch gegen das Heimteam ein Foul. Zudem gaben die erfahrenen Schiedsrichter weniger oft an, sich nicht ganz sicher zu sein. Ganz aufgehoben könnten die «Fehlentscheidungen» in der Lärm-Bedingung jedoch nicht.

Als Erklärung für diese Befunde führen die Forscher an, dass die Schiedsrichter in nicht ganz eindeutigen Spielsituationen alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Entscheidungsfällung heranziehen. Eines dieser Mittel ist die Reaktion der Zuschauer. Diese Reaktion hat einen entscheidenden Einfluss auf das Schiedsrichterurteil. Der Schiedsrichter versucht zu vermeiden, eine «falsche» Entscheidung zu fällen. Und weil die Zuschauer klar zu verstehen geben, wenn sie mit einer Entscheidung nicht einverstanden sind, kann diese Vermeidung dahingehend interpretiert werden, dass der Schiedsrichter die Heimmannschaft in nicht ganz eindeutigen Situationen weniger kritisch beurteilt. Je unsicherer also der Schiedsrichter ist, desto eher wird er ein Auge zudrücken und der Heimmannschaft kein Foul anrechnen.

Es lässt sich also festhalten: Es gibt ihn, den Heimvorteil. Die Zuschauer haben somit einen entscheidenden Einfluss auf die Schiedsrichterentscheide. Der dominante Effekt des Zuschauerlärms führt dazu, dass der Schiedsrichter das Heimteam weniger oft bestraft.



Quelle: Nevill, A. M., Balmer, N. J., & Williams, A. M. (2002). The influence of crowd noise and experience upon refereeing decisions in football. Psychology of Sport and Exercise 3, 261–272.



Bitte beachten Sie, dass diese Studie nicht in unserem Labor durchgeführt wurde. Wenn Sie an einer Studie in unserem Labor teilnehmen möchten, finden Sie dazu hier weitere Informationen.

Weiterführende Informationen

Wie soziale Aktivitäten sich im Alter auch körperlich positiv auswirken

Teaser text